Zunächst setzt er sich für den Aufbau einer elementaren Bildungsarbeit und einer medizinischen Basisforschung ein. Gemeindeaufbau und Verbreitung des Protestantischen Glaubens lehnt Richard Wilhelm strikt ab. Er studiert intensiv die Klassischen Schriften des alten China und beginnt mit Übersetzungsarbeiten ins Deutsche. Schwerpunkt bilden zunächst die Werke und das Wirken der beiden Klassiker des Altertums Konfuzius und Laotse. Danach folgen chinesische Märchen und ein Deutsch-Englisch-Chinesisches Fachwörterbuch.
Er verfasst regelmäßig Kolumnen und Kommentare für
deutsche Zeitungen sowie Aufsätze und Artikel über seine
wissenschaftlichen Forschungen. Im Verlag Eugen Dietrichs erscheinen
seine literarischen Arbeiten in der buchkünstlerisch aufwendig
gestalteten Reihe Religion und Philosophie Chinas. In der neu gegründeten
Universität in Tsingtau suchen zahlreiche Professoren aus aller
Welt seine Gastfreundschaft. Der neugegründete Kunstverein
in Tsingtau zählt ihn zu seinen Gründungsmitgliedern und
aktiven Mitarbeitern.
Richard Wilhelm und das I Ging
Durch die Revolutionswirren in China
lernt 1911 Richard Wilhelm den vom Kaiserhof in Peking vertriebenen
hohen Gelehrten – den Vizeminister Lau Nai Süan (1843-1921)
kennen. Dieser brillante Gelehrte, der noch ganz in der alten Überlieferung
steht und dessen Familie mit den Nachkommen des Konfuzius nahe verwandt
ist, erschließt ihm zum erstenmal die Geheimnisse des Buchs
der Wandlungen, das I-Ging. Die gemeinsame Übersetzungsarbeit
mit Lao Nai Süan an diesem Buch beginnt im März 1913 und
dauert acht Jahre. In der Einleitung zur Erstausgabe des Buches
"I Ging – Text und Materialien", stellt er ihre
methodischen Vorgehensweise vor:
„ Er erklärte den Text auf chinesisch,
und ich machte mir Notizen. Dann übersetzte ich den Text ins
Chinesische zurück, und Lau Nai Süan verglich, ob ich
in allen Punkten das Richtige getroffen hatte. Dann wurde der deutsche
Text noch stilistisch gefeilt und in seinen Einzelheiten besprochen.
Ich habe ihn dann noch drei- bis viermal umgearbeitet und die wichtigsten
Erklärungen beigefügt.“
Nach 21 Jahren Chinaaufenthalt kehrt Richard Wilhelm
1920 nach Deutschland zurück. Er versteht sich fortan als Botschafter
und Mittler der chinesischen Welt. In den folgenden Jahren unternimmt
er ausgedehnte Vortragsreisen durch Europa. 1924 wird er als ordentlicher
Professor für Sinologie an die Frankfurter Universität
berufen und gründet das China-Institut. Er steht in Gedankenaustausch
mit Gleichgesinnten und den großen Humanisten seiner Zeit,
wie: Martin Buber, Hermann Hesse, Albert Schweitzer, Graf Hermann
Keyserling, Carl Gustav Jung und José Ortega y Gasset.
Bis zu seinem Tode veröffentlicht er unzählige Zeitungsbeiträge,
Aufsätze und Essays über die Kultur Chinas. Mehrere Verlage
bringen in eigenen Reihen seine Bücher heraus. Richard Wilhelm
stirbt 1930 kurz vor seinem 57. Geburtstag in Tübingen.
Brigitte Scholz
Literatur:
I Ging – Text und Materialien. Aus dem Chinesischen übersetzt
von Richard Wilhelm. Einleitung von Wolfgang Bauer, München:
Eugen Dietrichs Verlag, 1973 Adrian, Francius: Die Schule des I
Ging – Hintergrundwissen, Eugen Dietrichs Verlag 1994; Erfahrungen
mit dem I Ging – Vom kreativen Umgang mit dem Buch der Wandlungen,
Eugen Dietrichs Verlag, 1996
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